St. Marien
Sieben Schmerzen Mariens, 13. Jh.
Der Pilgerort gehr zurück auf das Jahr 1666.
Schmerzhafte Mutter
Foto: Dr. Jakob Schlafke
In dem Handbuch des Erzbistums Köln (1966) Band I heißt es auf S. 242: „Im Jahr 1003 erhielt die Abtei Deutz von Erzbischof Heribert unter anderem den Zehnten von Kalk.1423 empfahl das Provinzialkonzil zu Köln die Verehrung der Schmerzhaften Mutter. Die Deutzer Benediktiner ließen ein Bild anfertigen und in den Kalker Fluren aufstellen. Zum Dank für das Erlöschen der Pest wurde 1666 die Kapelle erbaut, die 1703 durch einen Sturm zerstört,1704 wiederhergestellt wurde. Im Jahr 1830 wurde Kalk von St. Heribert in Deutz als Rektorat abgetrennt und 1856 zur Pfarre erhoben. Die 1863 bis 1866 errichtete Pfarrkirche wurde 1943 bis auf die Umfassungsmauern zerstört und 1951-52 wiederaufgebaut. Die 1941 zerstörte alte Gnadenkapelle wurde 1950 durch einen umorientierten Neubau ersetzt. „Die Verehrung der Schmerzhaften Mutter in Kalk“ geht also zurück in das Jahr 1423. Die Anregung war im 13. Jahrhundert von den Gründern des Servitenordens in Florenz ausgegangen, die die Andacht der Sieben Schmerzen Mariens besonders förderten. Eine Kölner Synode machte sich diese im Jahr 1423 zu eigen. So begann die Geschichte der Schmerzhaften Mutter von Kalk. In der Nähe, weit außerhalb von Deutz, scheint das Haus der Siechen und Aussätzigen gelegen zu haben. Ihnen zum Trost wurde das Schmerzensbildaufgestellt, das ihnen sagte: „O ihr alle, die ihr vorübergehet, seht, ob ein Schmerz gleich sei meinem Schmerz.“ Auch während der Unruhen des
Dreißigjährigen Krieges wurde das Bild nicht zerstört. Im Jahr 1656 brach in Köln die Pest aus. Sie war aus Holland eingeschleppt worden. 1665 und 1666 hatte sie nacheiner alten Urkunde von 1668 16000Menschen hinweggerafft. Als sie dann 1666 ihr Ende erreicht hatte, beschloss der damalige Pastor von Deutz, Andreas Steprath, zum Dank für das Erlöschen anstelle des Heiligenhäuschen seine Kapelle zu erbauen. So begann die Wallfahrt zur Schmerzhaften Mutter von Kalk. Denn ihrer Fürbitte schrieb man es zu, dass die furchtbare Seuche erloschen war. 1667 konnte das Gnadenbildhier aufgestellt werden. Auf drei Stationswegen kamen die Pilger von Deutz, Mülheim und Ensen nach Kalk. Der Kreuzweg stellte in sieben Stationen dar: 1. Jesu Abschied von seiner Mutter, 2. die Fesselung, 3. die Geißelung, 4. die Dornenkrönung,5. die Kreuztragung, 6. Die Annagelung, 7. die Kreuzigung. Am8. Dezember 1703 wurde die Kapelle durch einen Orkan zerstört, aber sofort wiederaufgebaut. Die Wallfahrt zum Vesperbild nahm einen ungeahnten Aufschwung. Die Pilger kamen nicht nur aus dem Erzstift Köln, sondern auch aus den Herzogtümern Jülich, Berg und aus Westfalen. Hauptwallfahrtstag war das Fest Mariä Geburt, zu dem der Papst den Pilgern einen besonderen Ablass verlieh. 1710 kamen mit der Prozession 700, 1711 4000, 1712 8000, für 1713 wurde die Zahl auf 10 000 geschätzt. Da die Kapelle die Pilgerscharen nicht fassen konnte, baute man im Garten des Siechenhauses eine Nebenkapelle mit Fenstern ringsum, die den Pilgern ermöglichte, von draußen der heiligen Messe beizuwohnen. 1794 wurde Köln von den Franzosen eingenommen. Das Gnadenbild brachte man nach Deutz in Sicherheit. So wurde es gerettet, als die Soldaten in der Kapelle Bänke und Bilder verbrannten. Nach Wiederherstellung der Ordnung führten die Bewohner die Pietà in feierlicher Prozession an ihren alten Platz zurück. Nach 1829 erfolgte ein neuer Aufschwung der Wallfahrt. 1830 wurde Kalk Rektorat und 1856 Pfarre. Bis zur Einweihung der Marienkirche1866 fand der Pfarrgottesdienst in der alten Kapelle statt. Wegen der zunehmenden Industrieentwicklung ließ Pastor Nießen 1868 um die Kirche einen neuen Kreuzwegerrichten, „weil ein öffentliches Beten wegen des zunehmenden Verkehrs auf der Hauptstraße kaum mehr möglich war“. Die Kapelle aber blieb der Mittelpunkt. Das Gnadenbild gab den Neuzuziehenden das Gefühl von Heimat. Auch als am 7. Dezember 1906 die Kapelle bis auf die Außenmauern abbrannte, wurde das Gnadenbild gerettet. Zur Festzeit von Mariä Geburt bis zum Fest des hl. Erzengels Michael kamen weiterhin zahlreiche Prozessionen und Einzelpilger. 1932 wurde in der Nacht vor dem Passionssonntag die erste Kölner nächtliche Männerwallfahrt nach Kalk gehalten.
An 25 000 Männer und Jungmänner folgten dem Aufruf des damaligen Diözesanpräses Johannes Gickler, der 1937 selbst Pfarrer an der Marienkirche wurde. Schweigend zogen die Teilnehmer zum Kalker Gnadenbild und von dort zum Schlussgottesdienst im Dom. 8 Jahre lang wiederholte sich diese Wallfahrt, bis sie 1940 verboten wurde. Dechant Gickler fährt in seinem Bericht fort: „Das Gnadenbild, das im Laufe der Geschichte so manches harte Schicksal getroffen hat, musste im Zweiten Weltkrieg die ganze Furchtbarkeit des Kriegsgeschehens erfahren. Kunstgegenstände wurden möglichst schnell in Sicherheit gebracht, aber das Gnadenbild sollte in dieser schweren Zeit als Trostquelle unter uns bleiben. Mehr als sonst scharten sich die Gläubigen um die Schmerzhafte Mutter. Als die Prozessionen verboten waren, kamen viele stille Beter von nah und fern mit ihrem Leid und ihren Sorgen zur Kalker Muttergottes. Jedoch am 8. August 1941 schlug in der Nacht eine Bombe mitten in die Kapelle ein und zerstörte das Heiligtum vollständig. Diese Nachricht ging wie ein Schrei des Schreckens und des Entsetzens durch Kalk und Köln. Hier wurde das Herz und das Gemüt unserer Gläubigen getroffen. Als dann bekannt wurde, dass das Herzstück unserer Kapelle, unser Gnadenbild, wie durch ein Wunder gerettet war und fast unversehrt aus den Trümmern ausgegraben werden konnte, da zogen die Kalker und Kölner tagelang in großen Scharen zum Bild der Gnadenmutter in der Marienkirche, da stand das Gnadenbild wie in einer Wiese von Blumen, da opferten die Gläubigen gern ihre Almosen.
Das Ereignis von Kalk wurde Anlass heftiger Auseinandersetzungen. Die Feinde unseres Glaubens bezichtigten uns des Betruges mit dem Gnadenbild. Die Gestapo greift ein mit einer Untersuchung. Doch auch sie kann die Tatsache nicht bestreiten, daß das Gnadenbild wie durch ein Wunder gerettet worden ist. Uns Katholiken erscheint die wunderbare Erhaltung des Gnadenbildes wie eine heilige Fügung von oben, die uns die Verpflichtung auferlegt, die Verehrung der Schmerzhaften Mutter in Kalk noch mehr zu fördern. Es kamen noch schwere und bittere Jahre des Krieges. Am 4. Juli 1943 wird fast ganz Kalk vernichtet. Mit knapper Mühe können wir das Gnadenbild aus der brennenden Marienkirche, wo wir es in der Nacht unter der Wendeltreppe zur Orgelbühne unterstellten, mit wenigen Beherzten heraustragen. Nun ist das Gnadenbild obdachlos wie Tausende in Köln und Kalk und Millionen in Deutschland. Es wandert für 22 Monate in den Keller des Pfarrhauses. Wir haben noch oft um unser Bild gebangt. Aber herausgegeben haben wir es nicht. An allen Muttergottesfesten wird es in der Notkapelle ausgestellt. Immer wieder haben wir uns um das Bild versammelt und im Bombenkrieg flehentlich gerufen: "Schmerzhafte Mutter von Kalk, bitte für uns".
Dechant Gickler berichtet weiter: „Kalk war nach dem Kriege eine große Ruine. Die Marienkirche war bis auf die Grundmauern zerstört, die Gnadenkapelle total vernichtet. Wo sollte ein Aufbau beginnen? Wegen des großen Bedarfs an Kranken -betten wurde mit dem Wiederaufbau des Hospitals begonnen. Das Pfarrheim wurde zu einer Notkapelle umgebaut, die sonntags in sechs heiligen Messen die Gläubigen aufnehmen konnte. Dann begann der Wiederaufbau der Gnadenkapelle: Kalker Männer und Männer aus ganz Köln begannen aus eigenem Antrieb die Arbeiten für die Gnadenkapelle. Die neue Stadtverwaltung begrüßte den Wiederaufbau und gab die Erlaubnis, an der alten Stelle unter Einhaltung einer neuen Fluchtlinie zu bauen. So erlebten wir das herrliche Schauspiel, daß seit Mitte 1946 Männer aller Stände aus ganz Köln zu Schüppe und Hacke greifen, entschutten, ausschachten und mauern“.
Um die neue Form der Kapelle wurde lange gerungen, bis die Entscheidung für den Entwurf von Prof. Dr. Rudolf Schwarz fiel. Er beschrieb den neuen Plan: „Der neue Bau soll eine Halle um das Gnadenbild darstellen und demgemäß nur aus einer großen, verbreiterten Apsis bestehen, in deren Mitte das Bild steht. Im Gegensatz zu früher soll die Kapelle in der vollen Breite nach Osten geöffnet sein. Hierdurch wird ein Abschluss gegen die Straße erreicht und eine Verbindung mit dem Kreuzweg geschaffen. Die Pilgerzüge umziehen die Marienkirche und ziehen dann in die offene Apsis ein. Das Licht fällt in großer Fülle aus einem Seitenfenster auf den Altar und das Bild. Die äußere Form des Baues soll ganz schlicht sein. Am 4. Juli 1948 legte Dompropst Hecker den Grundstein. Oberbürgermeister Dr. Schwering und viele Gäste und Gläubige wohnten der Feier bei. Doch dann kam die Währungsreform. Das Bauen musste eingestellt werden. Doch 1949 war es soweit, dass durch die Gaben der Gläubigen und die Kollekten in der eigenen und in anderen Kirchen der Bau fortgesetzt werden konnte. Ein guter Beitrag wurde auch durch die nächtliche Männerwallfahrt vor dem Passionssonntag erbracht, die nach Kriegsende unter großer Beteiligung der Männer aus der ganzen Stadt wiederaufgenommen wurde. So konnte im Frühjahr 1950 der Bau der Kapelle fortgesetzt werden. Am 8.September erfolgte die Einweihung. Dechant Gickler, der macht volle Männerseelsorger der Jahre vor, im und nach dem Krieg, starb 1982 im Alter von 90 Jahren. Mit Stolz zeigte er die Großaufnahmen, der den Dom bis auf den letzten Platz füllenden Gottesdienste der dreißiger Jahre. Nur wenige können sich heute noch vorstellen, dass der Dom dabei von 20 000 und mehr Männern gefüllt war. Die Presse konnte darüber kaum berichten. Die Dokumentation jener Jahre ist darum irreführend. Sie erweckt den Eindruck, als hätten die Kirche und das gläubige Volk geschwiegen. Treffendstes Beispiel dafür ist die Bischofsweihe unseres Kardinals Josef Frings am 21. Juni 1942. Der Dom war bis zu den Umfassungsmauern dicht gedrängt gefüllt, wie die Teilnehmer heute noch voll Stolz erzählen. Die Presse aber musste über dieses Großereignis schweigen. Einzige Mitteilung ist die kurze Annonce, in der eine junge Dame bat, aus ihrer bei der Bischofsweihe verlorenen Handtasche das Bild ihres Bräutigams, der an der Front stehe, zurückzugeben. Dechant Gickler schließt seinen Bericht über den Wiederaufbau der Kalker Kapelle von 1950: „Unsere Kapelle ist aus dem Volke und vom Volke errichtet worden. Alle Steine – es sind viele Tausende – haben katholische Männer von Trümmerstätten abgeholt und geputzt. Auch die Geldmittel kamen überwiegend aus den Taschen der kleinen Leute. Dankbar sind wir nicht zuletzt denen, die nur für Gotteslohn geplant und geschafft haben. Ihre Namenwollen wir nicht nennen, denn sie taten es nicht, um das Lob der Menschen zu erlangen. Sie hatten ein höheres Motiv. So schreiben wir voll Glück und Dankbarkeit über die Kapelle: „Würdige mich, dich zu loben, Schmerzhafte Mutter von Kalk".
Auch heute steht die Kapelle noch im Mittelpunkt des Verkehrs, trotz U-Bahn-Bau und Fußgängerzone. Den ganzen Tag über suchen Beter Ruhe, Rat und Trost bei dem Gnadenbild der Schmerzensmutter. Wenn die Zahl der Teilnehmer 1987 auch nicht viel mehr als 2 000 betragen hat, so ist die nächtliche Bußwallfahrtvor dem Passionssonntag, die 1932 in sorgenschwerer Zeit begonnen wurde, auch heute noch ein fester Bestandteil im religiösen Lebender Stadt Köln.